Nordmährische Mundartgeschichten

In Anbetracht der Tatsache, daß unsere nordmährische Sprache innerhalb von wenigen Jahren wohl nicht mehr gesprochen werden wird, ist es mir ein Bedürfnis, den Dialekt sowohl in schriftlicher Form, als auch in Tondokumenten festzuhalten.

Hier freue ich mich über die Zusammenarbeit mit

Frau Hanne Turowski , die mir Texte von ihrer "Tante" Grete Swoboda und Tondokumente, die sie mit Mitgliedern der Schönberger Runde in München erzeugte, zur Verfügung gestellt hat.

Rechts eine Szene vom Schemberger Marktplatz der zu jener Zeit, als die Kurzgeschichten spielen, an einem Markttag wohl so aussah.

Bild: Verlag Josef Emmer, Mähr.Schönberg

Die beiden Kurzgeschichten gewähren uns einen Einblick in die Lebensgewohnheiten unserer Leute in den ersten 40 Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Zeit, in der sich die Leute in ihrer althergebrachten Familientradition befanden, und sich noch mit einfachen Freizeitbeschäftigungen für die ganze Familie zufrieden gaben. Das stimmt nicht ganz: die Hausfrau war immer im Einsatz, auch beim sonntäglichen Familienausflug.

Familienszene in Schönberger Mundart

Glei ei oller Frieh woar der Teifl los. Da Vota woar urdresich, weil er sei Schmisettle nie fendn konnt. Danocht woll er sei olde Plant ohziehn. "Do misst ich mich jo schäme, wenn Du mit sette Simplfronsn off die Goss gingst" sogte de Mutta.
De Kender, Tones und s'klaane Rosle worn aufgestondn un stritten sech ems Lawohr. Tones rannte damet auf de Pawlatsch un roß ans vo Mutters Blumen-aschle ronder. Inne Jeses, etz gobs vo da Mutta Kroßt und Waches!

"Ich konn nie dafür", nootschte da Jong "des Aschle is reinst om Schnoterbrettle gestondn, ich bin jo gornie drokomme". "Es woar jo eh nur a setter Vertirblich" meschte sich da Vota ei. "0ba da Toop is aa hin" lamentierte de Mutta, "Härste nie, wie a terrt?"

Etz setztn se sich zum Friehstick. Tones brockte sich san Wecken ei die Millich ei, bis der Läffel stund. "Erscht mochste dei Tipple geschwieflt vool un dann läßte an Tschitsch iebrich" kretesierte de Mutta. Donn schaate se aufs Rosle. "Na, mei Sinkale, hoste denn Dei Schnietle aufgeknuflt? Na, rechtich hot ses zammgemumpelt, best scho praf" . S'Rosle woar nemlich die letzten Tog a weng hietschich gewäsn.
Da Vota woar schon furtgonge. De Mutta schaate auf de Uhr. "Hostn Dei Aufgab auf da Toofl urntlich geschrebn?" frogte se Tonesn. "Mei lieba Jong, a settes Gemotsche wird da Lehrer nie dolden, do mußte Dich schont a bessle mehr plogen. Oba etz schaa, daß De ei die Schul kimmst, sonst wird Da der Hauk-Lehrer fürpess helfn!"

"Wos hommern heit zu Mittich?" wollte Tones noch wessn. "Schärmeislen un Weinschattoh" foppte ne de Mutta. "Uj je, dos is jo Rietschich, auf dän ho ich gorkan Gusto nie" dochte sech Tones. "Do geh ich noch der Schuul zur Emma-Tant ei de Kroppngoss, die gett ma a Schmolzschniet, do konn ich mit die Junge vo da Neiweltgoss Reiber un Schandes schpelln".
Wie wenn de Mutta sei Gedankn erroten hätt, rufft se ne Jong noch: "Doß de ma noch da Schul nie draußen remschwonzt, komm ma joo glei haam!"
S'Rosle hotte daweil ei da Kladerolma gekromert un sech Tonesens Pudlmitz aufgesetzt un den Schaal eingewickelt. "Jo Rosle, wos mochstn, Du konnst Dich doch eim Sommer nie eimummeln wie a Poplweible? Etz schaa och, ich ho Dich so schejn gekamplt un etz hoste wieda lauder Wichtl ei die Hoar! Na naa, Du werst noch zu schpejt ein Kendergorten komme un mußt draußen stehn wie a Bettlmoan. Un bleib ma jo am Trattowar un geh nie auf die Strooß!"
Etz wors Nesthakale aa furt, "0b ich heit Fenster putz' überlegte de Mutta, 's sein scho lauder Monne drauf. Oba s wird vielleicht rägne, da Fink hoot heit frieh aso geruutscht un vo da Heikopp her komme lauder Puutzn. Einklich kennt ich mei Nejschatull zammreime, de Kender hamma de gonzn Fejner verfitzt, etz konn ich des Genauze aufkniepln".
S Rosle wor wirklich zu schpejt komme. De Kender worn mit da Tant schon eim Gorten un zählten aus:
"Enn tenn tinus, sageracke minus sageracke ticketacke eile quelle pumm!"
Die grössern Kender hielten die Faust vor sech hin un zählten: Ellerle sellerle sickerle saa riebede rabede knolle"

Anmerkung:

Bei diesem Auszählen schlug der Erste sich selbst auf die rechte,dann auf die linke Faust und dann jedem Kind nacheinander auf die rechte und linke Faust. Wessen Faust der Ausruf 'knolle' traf, mußte die entsprechende Hand senken, die zählte nicht mehr mit. Wessen beide Hände zuerst ausfielen, der "war dran", mußte also z.B. beim Versteckspiel die anderen suchen.

Grete Swoboda
Da Ausflug auf die Prosinger-Olm
Schönberger Mundartausdrücke, aufgezeichnet von Grete Swoboda

"Ma kenntn am Sonntag wieder amoal auf die Prosinger-Olm gehn", sogte da Vota nochra Nochtmoahl."Uj, an Ausflug!", freite sech Tones, und s'Rosle klatschte ei de Hand. De Mutta neckte zustimmend."Wo welltern gehn?", frogte da Vota.
"Bei da Schweska-Blaach vorbei ieber de Kirschenallee oder bei da Kassern ahender un iebern Promenadnwog?"
"Auf de Schweska-Blaach bin ech als Maadle immer mit da Anna-Tant zum Wesch-blaachn gonge", erinnerte sech de Mutta. De Tant hott de Wesch ei aner Butt am Reckn un ich hott a Schaffle auf aner klann Roadscheib. Zuerst hot se de Wesen auf n Roasn zun Blaachn gelegt. Wenn de Sticker trockn worn, hot se fresches Wosser aus an Holzbottich geholt un mit der Gißkonn de Wesch begossen. Zuletzt hout se se ei der Boach gefläht. Mier Kender schpellten daweil Hopperles oda "Velkerboall' un zehlten aus: "En - ten - tinus, sageracke minus sageracke - ticke/tacke •• eile/quelle – pumm.'"

"Joa, ols Jong bin ich oft durchs Pfärgassle vor der Schweska-Blaach zun Blemenschitz-Wehr vom Gränzgroabn gesaust, wenn raa dort Reiber un Schandes' geschpellt hon", sagte da Vota un zwenckerte lustich mit die Augn. "Un erst eim Wenta hootn ma a Hetz om Pfeifferteich, waßt Mutta, zweschen Mondschein- und Neiweltgoass, der wor domols noch nie zugeschitt, aus dem is da Miehlgroabn durch de Lendngoass ei de klaane Miehl geflossn un unten ei da Miehlgoass1 ei de Tiemenetz."
"Mei Bruder Peppes un ich hotten nur aa Poar Schlittschuh. Do hott sech jeder an Schlittschuh oageschnollt un is mit dem ondern Fuß "geschneidert'. Die de ieberhaupt ka Schlittschuh nie hotten, mußten sich's Eis mit da Pudlmitz obputzen un hotten a schejne longe Tschunda." Wenn oana hengeflogn is, honn ne de oandern zugenoamt:

"Edewattle, Feiernapple rumpelt auf da Geign"
"Tschuschaus, tschuschaus", refn de oandern oda:
"Siß, longa Fiß
longe Noas
fong an Hoas".

"Inne na na, etz is vor lauda Erzehln schon schpejt gewurn", maante da Vota. "S'Rosle muß jo eis Bett." "Oba gell, Vota, ich mecht nie ieber de Kirschenallee, ich mecht ieber de Kenderwies gehn un Puttaschmirgalen un Fleischblume pfleckn", piepste Rosle noch vorm Einschloafn.

Om Sonntoag wors dann soweit. Da Vota noahm an Rucksock em, de Mutta trug an Zejka, Tones hotte sei Botanisiertrommel un s'Rosle a Schmetterlingsnetz. Om Promenadnweg koam de Mutta wieda eis Sinnieren.
"Woaßt noch Vota, wie mier ols junge Leit mit da Muusich auf n Tonzploatz gezogn sein?"
"Joo, do is de gonze Schtoadt metgezogn", erinnerte sich da Vota. "Oda mier sein iebern Temmerberg zum Waldspitz un dann ei die Neiheislen gonge, dort hot ma aa tonzn kenne."

"Vom Tonzplatz foahr ech heier eim Wenta, wenns fest gefrorn is, wieda mit die Schlittschuh beinoah bis zum Sanatorium runda", meschte sech Tones ei. "Inno, etze is kaa Eis nie, heit is haaß, ich wosch mier etz die Hand do ein Brinnle hendern Sanatorium, schah och wies schejn loatschert", rief s'Rosle.
"Jo, doas is a gudes Wosser. Ausm Annabrinnle rechts nebm Weg kimmt schon fost ka Wosser mehr raus", moante de Mutta."Also, etze sein mier am Tonzploatz", sogte da Vota.
"Kaafst Du uns a Poar Wirschtlen?", fragte Tones un schaute gelestich ein Hiehnergrobn auf die Bude nunder. "Oder a Kracherle?", bettelte Rosle. "Na na, etze kimmt och weiter. Beim zweitn Mariäbild wern ma roasten, de Mutta hott ja wos Gudes eigepackt."
"0ber beim Kesslbrinnle dirft ihr nie proantschen un Grahmlen (= Gräben) ziehn, mier homm jo noch an weiten Weg", erennerte de Mutta. Bei der Roast kriegte jedes a Fettnschniet un obendrauf noch an Äpplkroappn un an Schlucks Kaffee. Die Grumpln kriegten die Vögel. "Waßt Mutta, mier kenntn a bißle auf Schwamm schaan", maante da Vota. "No gutt, ich hoa mir ja zun Gleck nie die neien Flohrschtrimp genomrae, do konn ich mit rumgehn, ober ein Maasch krich ich nie nei, do war jo de gonze Ploag heit frieh met der Brennschär umsonst gewäon." Die Familie zerstreute sich, dann brachte jeder seine Beute. "Inno, etz schaa och, do sein joa gonza Haffn schejne Herrnpilz, a poar feste Rottockn, a poar Hampferlen Hienlich un zwa olde Toanpilz. Do moch ech morgen an gudn Schwammgasch. De zwa olden Fladerlich kennt ma noch auf de Back schneidn, ober dos Gemärschl vo Hienlich hätt ihr nie nähme solin, die sein noch zu klaan."
Etze gings weiter übers Fuhrmannbild nach Reigersdorf. Ei dos kloare Woasserle, ieber doas der Weg fiehrte, mußte Tones schnell a poar Staner schmeissen.

"Bei Feldkleinen ruhn ma sich dann rechtich aus. Dort kriegt ihr a gude Millich un a Putterschniet. Un ich frei mich auf a Hannsdorfer Bier." "Kenn ma dann rimlaafn un "Versteckerles met Verklopperles" mit de Kender spelln?", erkundigte sech Tones.

"Auf da Prosinger-Olm waaß ich a Stell, dort stehn zwa grosse Streicher Kroatzbeern. Dos sein ka gewehnliche schwarze Kroatzln, dos sein eich dunklrote mit gloasichn Beeren, die schmeckn gor gutt", sogte de Mutta. "Ich ho a Kannle mitgenomme."
Jeder koam auf da Prosinger-Olm auf sei Rechnung. Da Vota trof a poar Freind zum Kortenspelln, erst Mariasch, dann Tarock. De Kinder roanntn nach Herzenslust rim un ließen sech auf an moosichn Abhang runderkaugln. De Mutta pflockte s gonza Kannle voll Kroatzbeern. "Do konn ich a poar Glaslen voll eikochen", doucht se.
Gegn Obnd mochten se sech aufn Weg nunda nach Ullersdorf. -Bei der Wegbiegung schauten sie noch einmal zurück auf die im Abendfrieden ruhende Alm. Aufs Teßtal legten sich leise blaue Schatten.
Im Winkelsdorfer Zügle saß eine Jugendgruppe. Hell klangen die frischen Stimmen in den Abendwind:
"Kein schöner Land in dieser Zeit ..."

Grete Swoboda